Geschrieben von Grégoire Depeursinge, Managing Partner AIMS International Switzerland

 

Fernarbeit ist mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme, und es herrscht Einigkeit darüber, dass diese in Zukunft nicht mehr wegzudenken ist. In meinem letzten Artikel über die Zukunft der Arbeit habe ich einige der Möglichkeiten untersucht, die Fernarbeit den Unternehmen und den Mitarbeitern bietet, sowohl in entwickelten als auch in Schwellenländern. Diesmal möchte ich mich mehr auf einige der Herausforderungen konzentrieren, mit denen Organisationen konfrontiert werden, wenn Fernarbeit zur Regel wird oder wenn sie keinen zentralen physischen Standort mehr haben und nur noch ein Netzwerk von Menschen bilden, die von verschiedenen Standorten aus zusammenarbeiten.

Viele der Herausforderungen im Zusammenhang mit Fernarbeit, so z.B. das Gefühl der Einsamkeit, zu viel oder zu wenig zu arbeiten, die Überbrückung verschiedener Zeitzonen, das erfolgreiche Onboarding neuer Mitarbeiter, eine effiziente Teamkommunikation oder die Frage, wie man die Leistung und Produktivität der Mitarbeiter überwachen kann, sind gut erkannt und reichlich angesprochen. Auch die wichtige Frage, wie man das Zusammengehörigkeitsgefühl fördern und eine solide gemeinsame Kultur schaffen kann, ist etwas, das erkannt wird und wofür Lösungen vorgeschlagen wurden (bessere Organisation und Information, geplante soziale Interaktion, regelmässiges Feedback usw.). Es gibt jedoch drei Bereiche, denen nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird und die für den Erfolg entscheidend sein können:

Entwicklung und Mentoring von Nachwuchskräften

Lehrlinge oder junge Hochschulabsolventen ohne vorherige Berufserfahrung haben einen grösseren Bedarf an sozialer Interaktion, Aufsicht, Coaching und Mentoring, nicht nur in Bezug auf ihre Funktion, sondern auch in Bezug auf die Regeln der Interaktion im Arbeitsumfeld, die ungeschriebenen Regeln und Gepflogenheiten, usw. Sie sind oft nicht in der Lage, autonom zu arbeiten und müssen auch mit Gleichaltrigen austauschen, in Konkurrenz treten und Beziehungen aufbauen können, um ihren Platz in der Organisation und in der grösseren Gesellschaft zu finden. Wenn alle aus der Ferne arbeiten stellt dieses Bedürfnis eine enorme Herausforderung dar, mit dem Risiko, ihrer Karriere dauerhaft zu schaden, da allenfalls einige Grundbausteine fehlen.

Ein Mangel an umfeldbezogenen Informationen führt zu weniger fundierten Entscheidungen

Selbst wenn man über Videokonferenzen und andere technische Mittel verbunden ist und regelmässig mit Teamkollegen und Stakeholdern austauscht, gibt es viele Informationen, die man normalerweise „nebenbei“ sammelt, wenn man mit Kollegen an einem physischen Ort interagiert (wir hören Gespräche um uns herum, wir können die Aktivitäten im und um das Gebäude herum sehen, wir tauschen bei Kaffeepausen oder beim Mittagessen mit Leuten aus anderen Teams aus, gehen durch die Fabrik usw.). Diese kontextbezogenen Informationen liefern uns ein umfassenderes Bild und die gesammelten Hinweise können uns helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. In einer Situation der Fernarbeit sind diese subtilen Zeichen nicht erkennbar und es besteht die Tendenz, sich nur auf die eigenen direkten Verantwortlichkeiten und Aufgaben zu konzentrieren. Dadurch gehen allen Teammitgliedern ein paar Informationen verloren, manchmal mit schlimmen Folgen. In der Vergangenheit konnten diese Probleme auftreten, wenn Entscheidungen beispielsweise von einem Land für ein anderes Land getroffen wurden, ohne die lokalen Gegebenheiten, die Kultur oder das Verhalten der Kunden ausreichend zu berücksichtigen, aber das Problem weitet sich nun auf Mitarbeiter aller Ebenen und an allen Standorten aus.

Mangelndes emotionales Verständnis führt zu Missverständnissen

Missverständnisse zwischen Mitarbeitern treten täglich auf: Wir fragen uns, warum ein bestimmter Teamkollege alleine an einem Projekt gearbeitet hat, das wir zusammen machen sollten, warum der Ton einer E-Mail, die wir erhalten haben, aggressiv erscheint, warum wir bei einer bestimmten Entscheidung nicht miteinbezogen wurden usw. Wenn wir uns am gleichen physischen Ort befinden, haben wir die Möglichkeit, diese Probleme auf indirekte Weise anzusprechen, vielleicht beiläufig ein Gespräch zu einem anderen Thema zu beginnen und dann das Problem zu besprechen, sobald das Vertrauen wieder hergestellt ist; oder zu erkennen, dass unser Kollege andere Probleme hatte, die nichts mit uns zu tun haben und seine Art zu kommunizieren beeinflusst haben könnten, usw. Auf diese Weise können viele Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden, bevor sie sich zu echten „Elefanten im Raum“ mit schlimmen Folgen für den Teamgeist und die Produktivität entwickeln.

 

Diese Probleme lassen sich zwar nicht wie mit einem Zauberstab wegwischen, es gibt aber Wege, sie zu entschärfen. Zunächst einmal ist klar, dass ein gewisses Mass an „physischer“ Interaktion trotz immer besserer Technologie notwendig ist und bleiben wird (viele Unternehmen arbeiten an der Schaffung virtueller Büroumgebungen oder verbesserter Videokonferenzlösungen, die eine „nahezu physische“ Interaktion ermöglichen, z. B. mit Hologrammen, und natürlich ist eine hochmoderne IT-Infrastruktur an beiden Enden ein wichtiger Teil jeder Lösung). Wo es nicht möglich ist, sich in grossen Gruppen zu treffen, können kleinere Teams zusammensitzen oder es kann zu bilateralen Begegnungen kommen. Wenn physische Treffen zu wenig oder gar nicht möglich sind, gibt es immer noch einige Dinge, die man tun kann, um das Problem zu lindern, wie z. B: 

  • Das Mentoring/Coaching von jungen Mitarbeitern von einer Nebenaktivität in eine sehr klar strukturierte Aktivität umwandeln. Dies bedeutet auch, dass man Mitarbeitern in Mentorenrollen mehr Zeit für diese Aufgabe gibt und Sie von einigen anderen Arbeiten entlastet
  • Bereitstellung von speziellen Kommunikationsplattformen für die Interaktion zwischen Gleichaltrigen (Lehrlinge, Hochschulabsolventen, usw.)
  • Bieten Sie Nachwuchskräften die Möglichkeit, sich spielerisch zu messen und im Unternehmen «sichtbar» zu werden (warum nicht auch „Gamification“ in Betracht ziehen?)
  • Organisieren Sie bewusst den Austausch zwischen Abteilungen und Funktionen im Unternehmen, die normalerweise nicht oft direkt zusammenarbeiten
  • Vermitteln Sie den Mitarbeitern vermehrt Informationen über das Unternehmen, seine Projekte und seine Kultur (Werte, erwartete Verhaltensweisen etc.) und ermutigen Sie gleichzeitig zu Feedback und Kommentaren
  • Investieren Sie bewusst und systematisch eine gewisse Zeit (z. B. zu Beginn eines Meetings) für informelle Gespräche und den Austausch über den Alltag und die Gefühle
  • Verwenden Sie bei Gesprächen, wenn immer möglich, das Video. Bemühen Sie sich noch mehr als unter normalen Umständen, jeden zu grüssen und zu berücksichtigen
  • Organisieren Sie Teambuilding-Anlässe und gemeinsame Aktivitäten wie Schulungen (physisch oder online)
  • Geben Sie ständig Feedback und begründen Sie Entscheidungen und Handlungen immer unter Einbezug umfeldbezogener Informationen

 

Kurz: investieren Sie die durch die höhere Effizienz der Fernarbeit gewonnene Zeit in die Stärkung der menschlichen Interaktion und der Bindung innerhalb der Gruppe, anstatt um jeden Preis die höchste Produktivität anzustreben.

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